Tullio Campagnolo? Kenne ich nicht! Wer das sagt, interessiert sich nicht für Radsport, betreibt keinen Radsport und hat wahrscheinlich noch nicht einmal ein einziges Radrennen im Fernsehen gesehen. Hat er sich als italienischer Radrennfahrer während seiner von 1922 bis 1930 Jahre währenden Laufbahn nicht in die Siegerlisten der großen Radrennen eingetragen, ging er trotzdem als einer der ganz Großen im Bereich des Radrennsports in die Geschichte ein.
Er war nicht nur Radsportler, sondern auch ein genialer Tüftler und Bastler. Er war der Gründer des bekannten gleichnamigen Traditionsunternehmens, das er durch seine bahnbrechenden Erfindungen bis heute nach vorne gebracht hat.
Campagnolo – das ist ein großer Name mit Klang, der untrennbar mit dem Radsport verbunden ist. In der Fabrik, die in Campagnolos Heimatort Vicenza steht, werden mit großer Sorgfalt innovative Fahrradkomponenten, Laufräder und Schaltgruppen hergestellt.
Und der Schnellspanner, der einen Radwechsel während des Rennens beschleunigte, ist die erste Erfindung von ihm, mit der alles begann.
Und das kam so: Der 11. November 1927 war es, der zum Ausgangspunkt der Erfolgsgeschichte werden sollte, denn an diesem Tag verlor Tullio Campagnolo in einem Radrennen am Pass Croce d’Aune viel Zeit.
In dichtem Schneetreiben und mit kalten, klammen Fingern, versuchte er so schnell wie möglich das Hinterrad loszuschrauben – denn das war zu diesem Zeitpunkt die einzige Methode, während des Rennens den Gang zu wechseln. Und wie wir wissen – wenn wir wollen, dass etwas besonders schnell gehen soll, können aus Sekunden Minuten werden.
Doch nicht nur gefühlt hat der Radwechsel zu lang gedauert: Bis dahin im „Gran Premio della Vittorio“ mit drei weiteren Teilnehmern in Führung liegend, musste er das Rennen verloren geben – und das stachelte seinen Erfindergeist nachhaltig an.
Mit dem festen Ziel vor Augen, dass sich etwas ändern möge, tüftelte er als Besitzer einer kleinen Werkstatt im italienischen Vicenza an neuen Möglichkeiten und am Ende kam dabei der Schnellspanner für Fahrradnaben heraus. Als Autodidakt hatte er damit die entscheidende Lösung für den Radwechsel gefunden.
Drei Jahre später im Jahr 1930 konnte er die von ihm erfundene Schnellspannachse als erfolgreich zum Patent anmelden. Ein erstes Patent auf das im Laufe der Zeit noch weit über 100 folgen sollten.
Im Rückgebäude der Eisenwarenhandlung seines Vaters gründete er seine Firma und fortan nahm Campagnolos Erfolgsgeschichte ihren Lauf. 1946 erfand er die Gestänge-Kettenschaltung, deren Prinzip bis zum heutigen Tag gebräuchlich ist.
Nicht nur im Rennen – auch im Alltagseinsatz hat sich die von ihm entwickelte Schaltung bewährt. So wie Ferrari zum Synonym für Rennwagen wurde, steht Campagnolo heute für die Schaltung im Radsport. So beherrschte die 1950 von Campagnolo entwickelte Schaltung „Gran Sport“ dreizehn Jahre lang den weltweiten Markt.
Noch heute gilt sie als das Markenzeichen von Campagnolo – bis 1985 wurde sie nahezu unverändert weitergebaut.
Noch viele Neuerungen sollten folgen. Heute setzt Valentino Campagnolo, der Sohn des 1983 verstorbenen Firmengründers, die lange Geschichte des italienischen Traditionsunternehmens mit großen Erfolgen fort.
Schon zu Lebzeiten vielfach mit Preisen ausgezeichnet wurde Tullio Campagnolo 1995 ein Denkmal gesetzt. Da, wo der Legende nach die Initialzündung für seine erfolgreiche Unternehmenslaufbahn entstand, wurde am Croce d’Aune das Monument enthüllt. Die „heiligen Hallen“ wie die Fabrikgebäude ehrfürchtig genannt werden, stehen nach wie vor in Vicenza – da, wo im letzten Jahrhundert in einer kleinen Bastlerwerkstatt im Hinterzimmer alles begann.